Mitarbeiter für das Unternehmensblog oder die Betreuung der Social-Media-Kanäle zu finden ist mitunter eine echte Herausforderung. Doch was ist, wenn man sich damit beschäftigt, welchen digitalen Ursprung jemand hat und diesen aktiv fördert und fordert?
Im vergangenen Jahr hielt ich auf dem Filialmanagementtag in Münster einen Vortrag zum Thema Social Recruiting. Die Veranstaltung richtet sich an Führungskräfte im Bäckereifachverkauf, denn auch im Handwerk spielt die Digitalisierung eine immer größere Rolle. Am 14. Mai findet der nächste Filialmanagementtag statt, ein SPEZIAL zum „Digitalen Wandel im Verkauf“. Ein Thema dort wird die „Digitale Biografie“ sein. Den Vortrag hält Kai Heddergott, der sich als Kommunikationsberater intensiv damit befasst. Ich fand das spannend, besonders im Hinblick auf Corporate Blogs. Denn es geht um digitale Kompetenz.
Social Recruiting
Wie können Unternehmen über soziale Netzwerke Mitarbeiter akquirieren? Welche Rolle spielt ein Blog bei der Positionierung als attraktiver Arbeitgeber? Diese und weitere Fragen behandelte ich in meinem Vortrag im Oktober. Vor mir sprach Hannah Maske von der Bäckerei Olaf Balzer und stellte die Aktionen ihres Unternehmens vor, um Auszubildende anzusprechen und zu gewinnen. Sie selbst fing als Azubi in dem Betrieb an und ist jetzt im Bereich Personalwesen tätig. Es war ihr erster Auftritt und sie meisterte ihn bravourös.
Die positiven Reaktionen aus dem Publikum waren sehr direkt: „Kann man Sie abwerben?“, rief jemand schelmisch und hatte damit die Lacher auf seiner Seite.
In meinem Vortrag ging ich auf genau diese Situation ein: „Jeder von Ihnen hat eine Frau Maske in seinem Haus. Sie müssen sie nur finden. Wer von Ihnen teilt denn mit seinen Mitarbeitern das heute gewonnene Wissen, um dann zu prüfen, wer was umsetzen könnten oder um Ideen zu sammeln?“, fragte ich. Von rund 160 Besuchern gingen zwei Hände hoch. Schade, so sieht es leider häufig aus: Chefs gehen sich fortbilden und Mitarbeiter profitieren nicht davon.
Digitale Kompetenzen finden
Das gleiche stelle ich häufig bei den Themen Blog und Social Media in Unternehmen fest. Ebenso höre ich in Gesprächen mit Kunden oder bei Teilnehmern meiner Kurse Sätze wie: „Wir haben niemanden, der das Blog oder die sozialen Netzwerke pflegen könnte.“ Oder: „Wenn ich die Wahl habe, einen Kassenzettel für den Vertrieb zu drucken oder einen Blogartikel zu schreiben, dann drucke ich den Kassenzettel. Das gehört zu meinen Aufgaben.“ Die wenigsten allerdings sind sich im Klaren darüber, welche digitale Kompetenz in ihrer Belegschaft tatsächlich schlummert.
Vielleicht sitzt ja nur einen Tisch weiter ein Mitarbeiter, der Lust hat zu schreiben oder sich in Social Media einzuarbeiten. Um das herauszufinden, müssen Sie die Menschen allerdings entweder ansprechen oder ihr Interesse wecken. Natürlich lassen sich extern Kapazitäten einkaufen. Auch ich schreibe im Auftrag von Kunden Blogartikel, für die ich sehr gutes Feedback erhalte. Aber sind wir ehrlich: Ein Mitarbeiter würde die Themen anders angehen, weil er oder sie ganz andere Perspektiven hat.
Er wirkt authentisch – wie Hannah-Maske von der Bäckerei Balzer eben. Grund genug, sich mit den Digital-Biografien der eigenen Mitarbeiter einmal gründlich auseinanderzusetzen. In deutschen Unternehmen schlummert mehr Potenzial als manch einer denkt.
Und wenn sich einer damit auskennt, dann Kai Heddergott mit dem ich ausführlich darüber gesprochen habe.
bloggerabc: Lieber Kai, was genau verstehst du unter dem Begriff der digitalen Biografie?
Kai Heddergott: Wir alle haben eine digitale Biografie – nämlich den Kontakt mit digitalen Anwendungen, dem Prozess der Digitalisierung und den Einsatz digitaler Tools in Privat- und Arbeitsleben entlang unseres Lebensweges. Je nach Lebensalter und persönlicher Biografie ist das von Beginn an der Fall gewesen oder erst später. Menschen um die 65 hatten erst im letzten Drittel ihres Berufslebens Kontakt mit dem PC, E-Mail und Smartphones. Für den Nachwuchs der Generation Y, geboren nach 1980, gab es viel davon schon seit der Kindheit oder Jugend.
Meine digitale Biografie umfasst zum Beispiel mehr als dreieinhalb Jahrzehnte – mit Geburtsjahrgang 1969 gehöre ich zur Generation X, in der zumindest bei den Jungs der Kontakt mit Homecomputern wie dem C64 und Co. in den frühen 1980er-Jahren nichts Ungewöhnliches darstellte. Seit diesem Erstkontakt habe ich mich wie viele andere mit den Möglichkeiten digitaler Tools befasst, die in der Folge aufkamen. Ich bin – das habe ich erst neulich anlässlich meines fünfzigsten Geburtstags gemerkt – die Hälfte meines Lebens im Web, seitdem ich mich 1995 beim Rechenzentrum der Universität angemeldet habe und mit einem Modem ins WWW einwählen konnte.
Jeder kann das für sich in der Rückschau ebenfalls betrachten: Wann war mein Erstkontakt mit dem Digitalen? Und viele werden feststellen: Das war viel früher, als ich selbst angenommen habe.
bloggerabc: Warum ist das Thema für Unternehmen wichtig und was kann ein Unternehmer mit diesem Wissen anfangen?
Kai Heddergott: Es gibt keine Branche und keine Unternehmensgröße, die sich nicht irgendwie mit der Digitalisierung beschäftigen muss. Es ist also eine zentrale Frage, ob sich die Mitarbeiter und Entscheider in Unternehmen in ihrem Berufs- oder Privatleben genügend mit digitalen Themen oder Lösungen beschäftigt haben, um fit für digital getriebene Veränderungsprozesse zu sein. Das Wissen, wer denn in der Belegschaft vielleicht sogar entgegen bisheriger Annahmen digitale Kompetenzen aufweist, weil sie Teil der jeweiligen Biografie sind, kann da sehr hilfreich sein.
Es geht darum, den verborgenen Schatz digitaler Fertigkeiten zu heben. Der Kollege aus dem Versand, dessen Hobby die Programmierung des Do-it-yourself-Computers Raspberry Pi ist, kann vielleicht hilfreiche Tipps bei der Einführung neuer digitaler Logistiksysteme geben, obwohl er bislang eher die Hochregale befüllt hat.
bloggerabc: Wie geht ein Unternehmen das Thema am besten an? Wie setzt man es um?
Kai Heddergott: Zunächst sollte jeder klar vor Augen haben: Mit der Betrachtung der digitalen Biografie wird keine Digitalstrategie ersetzt. Die Analyse, welche Arbeitsabläufe, welche administrativen Prozesse oder welche Tools für die tägliche Arbeit digital optimiert werden können und sollten, ist unablässig. Da helfen einem nicht nur smarte Digitalberater – Branchenverbände und Kammern können ebenfalls dabei helfen, die digitalen Potenziale des Unternehmens aufzuspüren und zu nutzen.
Die digitale Biografie wird eingesetzt, um Hemmschwellen, gefühlte Barrieren und falsche Annahmen aus dem Weg zu räumen. Ich setze zu Beginn immer eine Papierversion der digitalen Biografie ein: Hier kreuzt jeder für sich an, wo er zum ersten Mal zum Beispiel mit mobilen Computern, mit dem Internet oder mit Betriebssystemen Kontakt gehabt hat.
Füllen Kollegen diesen Bogen gleichzeitig aus, kommt es sehr schnell zum Dialog im Stil von: „Ach, das wusste ich ja gar nicht von Dir!“ Oder: „Sie haben auch schon in den Neunzigern…?“ Diese spielerisch identifizierten Überschneidungen der individuellen digitalen Biografien lassen eine gemeinsame digitale Identität keimen, die eine gute Basis für das Anpacken der scheinbar so schwer zu meisternden Digitalisierung ist.
In der Folge können Personalverantwortliche Ergebnisse der digital-biografischen Betrachtungen erfassen, daraus Vergleiche zwischen Abteilungen oder Mitarbeitergruppen erstellen – natürlich unter Wahrung des Datenschutzes. So lässt sich ein digitales Profil des Unternehmens erstellen. Das bildet die Basis für so etwas wie eine digitale Scorecard: Wo stehen wir heute? Wo möchten wir bei bestimmten Aspekten der Digitalisierung hin? Und welches Bild ergibt sich zum Beispiel nach sechs Monaten?
bloggerabc: Du bist im Mai auf dem Filialmanagementtag SPEZIAL. Die Teilnehmer kommen aus dem Handwerk, konkret aus Bäckereien. Wie kann diese Branche das Thema Digitale Biografie für sich nutzen? Gibt es Unterschiede zwischen Mitarbeitern, die im Verkauf direkt mit Kunden arbeiten und hinter der Theke stehen, und Führungskräften, die eher steuern?
Kai Heddergott: Spannend wird es, wenn ein Unternehmen einen in Gang gesetzten Transformationsprozess nach außen sichtbar macht und darüber berichtet. Das lässt sich ganz hervorragend in einem Unternehmensblog bewerkstelligen. So erfahren Kunden und die Öffentlichkeit, dass der Betrieb das Thema überhaupt anpackt. Auf dem Blog können Sie darüber schreiben, welche Talente und Kompetenzen Mitarbeiter aufweisen. So sind zum Beispiel Artikelreihen zu „Mein digitales Schlüsselerlebnis“ denkbar. Und da davon auszugehen ist, dass es den Lesen beziehungsweise Kunden ähnlich ergangen ist wie den Mitarbeitern, kann so etwas wie eine Identifikation mit dem Unternehmen entstehen – die Basis sind Überschneidungen der digitalen Biografie des Autoren und der des Lesers.
Setzt ein Unternehmen digitales Storytelling auf diese Weise um, gibt es in der Tat Unterschiede zwischen Kollegen an der Theke und denen in der Führungsetage. Normalerweise sind nämlich Letztere in der Regel die in der Öffentlichkeit sichtbaren Mitarbeiter, obwohl der tägliche Kundenkontakt ja eigentlich im Verkauf erfolgt. Jetzt können die Thekenkräfte zu den Geschichtenerzählern des Unternehmens werden, wenn sie es wollen. Und ganz nebenbei treten dabei bisherige Hierarchie-Level in den Hintergrund, weil die Geschichte und nicht der „Rang“ zählt. Allein das kann ein Impuls für eine zeitgemäße Kulturveränderung im Unternehmen sein. Zulassen müssen das aber die Führungskräfte, sie sind ja die Weichensteller für Veränderungen im Unternehmen.
bloggerabc: Welche Widerstände begegnen dir im Beratungsalltag und wie gehst du damit um? Welche Tipps kannst du Menschen geben, die den digitalen Wandel in ihrem Unternehmen aktiv angehen wollen?
Kai Heddergott: Entscheider in Unternehmen, zumal in inhabergeführten mittelständischen Betrieben, sind aktuell noch zumeist Vertreter der Generation Baby Boomer, geboren zwischen 1955 und 1964. Diese Führungsspitze ist eher analog sozialisiert, in Schule und Ausbildung und auch im ersten Drittel ihres Berufslebens hat die Digitalisierung noch nicht die Bedeutung gehabt wie heute. Hier finden sich aber die Weichensteller für die künftige Ausrichtung und Entwicklung des Unternehmens in digitalen Zeiten.
Ihnen bewusst zu machen, dass sie so pragmatisch und lösungsorientiert, wie sie bisher erfolgreich ihr Unternehmen geführt haben, mit der Digitalisierung umgehen sollten, ist bisweilen eine harte Nuss. Was traditionell zum Erfolg geführt hat, wird oft nicht angerührt. Dass Bewährtes die Grundlage gerade für Veränderungsprozesse sein kann, wird nicht immer erkannt. Da ist es bisweilen notwendig, mit solchen Instrumenten wie der digitalen Biografie auf oberster Ebene Ängste abzubauen und Mut zu machen. Oder anders: Der Prozess sollte „oben“ anfangen. Werden die Beharrungskräfte auf Führungsebene überwunden und ergibt sich eine angstfreie Auseinandersetzung mit der Digitalisierung, dann können auch die Mitarbeiter mitgenommen werden.
Das wäre mein wichtigster Tipp: Die Chefs und Chefinnen erfahren zu lassen, dass wir alle digitaler sind, als wir gemeinhin annehmen. Und dass der Schulterschluss der unterschiedlichen digitalen Generationen eher zum Ziel führt als die kurzgreifende Fokussierung auf die Digital Natives, weil die ja angeblich alles kennen und können, was digital ist. Wenn die lange aufgebauten digitalen Kompetenzen der Scharnier-Generation X, die Branchen- und Fachkenntnis der Baby Boomer und der eher spielerische Umgang mit neuen digitalen Instrumenten der Generationen Y und Z kombiniert werden – dann klappt’s auch mit der Transformation.
Mein Fazit
Die digitale Biografie ist ein Teil von uns und damit auch von Vorgesetzten und Führungskräften. Wenn es also um die Implementierung von Social Media und oder eines Unternehmensblogs geht und die Führung dagegen stimmt, hat das oft etwas mit dem digitalen Hintergrund zu tun. Wer den Nutzen für sich nicht erkennt und Argumenten gegenüber nicht aufgeschlossen ist, der wird sich schwertun, sich sachlich mit dem Thema zu beschäftigen.
Meine Empfehlung lautet daher: dranbleiben, immer wieder Beispiele aufzeigen und sich Unterstützung holen. Denn Fakt ist: Das Netz geht nicht mehr weg, und es wäre sinnvoll, die Möglichkeiten zu nutzen. Der Mitbewerber tut es auch.
PS: Wer Interesse hat zum Filialmanagmenttag SPEZIAL zu kommen und Lust hat über den Branchentellerrand zu gucken, der kann noch Karten erwerben. Neben Kai Heddergott sind noch Christiane Brandes-Visbeck zum Thema Digital Leadership und Tobias Müller aka „Der Kuchenbäcker“ zum Thema Blogger Relations dabei.
„Dass Bewährtes die Grundlage gerade für Veränderungsprozesse sein kann, wird nicht immer erkannt.“ DAS ist ein enormes Problem, finde ich auch und erlebe ich tagtäglich. Super Denkanstoß Daniela, habe mich lange nicht mehr so mit dem Thema auseinandergesetzt. Danke!
Hi Nadine,
danke für dein Feedback und Lob! Ich freue mich sehr, dass das Interview zum Nachdenken angeregt hat. Damit hat der Beitrag sein Ziel schon erreicht.
Viele Grüße
Daniela
Ich finde die Idee cool. Wenn man was mit Hammer und Nägeln baut, dann kann man nachher zeigen, was man getan hat. Auf digitaler Ebene ist das manchmal schwer. Von daher ein gutes Konzept! Weiter so!
Danke!
Ein guter Beitrag, den ich gerne auf XING und LinkedIn teile. Schöne Grüße, Monika
Hallo Monika,
das freut mich sehr! Vielen lieben Dank! : )
Ich finde die Idee cool!
mache ich sicher auch=)
Man sagt DER Blog oder DAS Logbuch. Nur weil „Blog“ sich von „Logbuch“ ableitet, ist es nicht automatisch mit DAS assoziiert.
Hallo Bernd,
der Duden sagt, dass beides richtig ist. Innerhalb der fachlichen Filterblase ist es DAS Blog und das ist für mich relevant. Entsprechend behalte ich diese Bezeichnung bei.
Viele Grüße Daniela